Behinderungsausgleich bei Autismus

Freizeit-Behinderungsausgleich bei Autismus

Antrags-Muster für qualifizierte Freizeitassistenz (Kind / Jugendlich)

Folgende Begründung schwebt mir vor:
Mein Sohn kann aufgrund seiner Reizfilterschwäche, die sich auf
Autismus (Verdachtsdiagnose liegt vor) und seiner Ataxie zurückführen
lässt, schnell durch verschiedene Reize überfordert sein. Diese
Reiz-Überforderung kann durch jeden Sinn hervorgerufen werden. Eine
Reizüberflutung kann durch viele visuelle Eindrücke durch menschliche
Interaktionen im öffentlichen Raum zu laute Geräusche intensive
Gerüche oder unangenehme Gefühle auf der Haut z.B. durch einen als
kratzig empfundenen Pullover ausgelöst werden. Diese Reizüberflutung
verstärkt dann die ebenfalls vorhandene
Emotions-Regulationsproblematik, die regelmäßig mehrfach täglich zu
extremen Wutanfällen führt.
Die Wutanfälle, die unter anderem durch Reizüberflutung ausgelöst
werden, sind fachärztlich beständig.

Aus diesem Grund benötigt mein Sohn Unterstützung durch pädagogische
Fachkräfte im gesamten Alltag – auch im Fitnessstudio. (Dort aber
zusätzlich zu einem qualifizierten Fitnesstrainer, der von der KK
finanziert wird.) Ohne speziell geschulte pädagogische Fachkräfte
droht meinem Sohn eine Gefährdung durch sich und andere. Eine einfache
Hilfskraft kann meinen Sohn nicht vor Reizüberflutung schützen und
angebracht auf einen Wutanfall reagieren. Wenn mein Sohn seinen
Wutanfall gegen die Hilfskraft richtet, könnte diese die Begleitung
meines Sohnes abbrechen oder sogar gegen ihn vorgehen – verbal,
physisch und zivilrechtlich – was eine Traumatisierung zur Folge haben
könnte und die Entwicklung massiv beeinträchtigen würde. Auch könnte
meinem Sohn ohne entsprechend qualifizierte pädagogische Fachkräfte
bei Wutanfällen durch Reizüberflutung Übergriffe durch externe
Personen drohen. Darüber hinaus sind die pädagogischen Fachkräfte auch
notwendig, um ihn selbst an seine Alltags-Problematiken heranzuführen.
Nur durch die permanente Einordnung durch pädagogische Fachkräfte kann
er lernen, mit seinen krankheitsbedingten Alltags-Hürden einen
gesunden und selbstständigen Umgang zu finden.

Ca. 85% aller Autisten sind für das Jobcenter unvermittelbar, weil sie
im Rahmen ihrer kindlichen Entwicklung nicht gelernt haben, ihre
Alltagsprobleme und die Interaktion mit anderen Menschen im Rahmen
ihrer Möglichkeiten selbstständig zu bewältigen. Eine einfache
Hilfskraft würde diese Abhängigkeit und Unselbstständigkeit im besten
Fall auf einem konstanten Niveau halten. Wahrscheinlich wird die
Abhängigkeit und Unselbstständigkeit aber durch Traumatisierungen noch
verstärkt.

Autisten, die in ihrer Kindheit eine entsprechende Anleitung erfahren
haben, um ihren Alltag langfristig selbstständig zu bewältigen, werden
im Berufsleben zu gefragten Fachkräften und Experten in ihrem Gebiet.
Aktuell haben wir noch die Chance, die erforderlichen
Rahmenbedingungen zu setzen, sodass mein Sohn zukünftig in den
Arbeitsmarkt integrierbar ist und sein Leben zukünftig selbständig
bewältigen kann.

Mein Sohn benötigt aktuell in Folgenden Situationen seines Alltags
unterstützung:

  • morgens beim Fertig machen. Aufstehen, waschen, Zähne putzen,
    Frühstücken, Schulsachen packen, ca. 2 Stunden
  • Unterstützung beim Schulweg – Hin und Zurück, ca. 2 Stunde
  • Begleitung in der Schule, weil dort vorhandene Fachkräfte keine 1 zu
    1 betreuung gewährleisten können und nicht für die Reizfilter- und
    Wut-Problematik in Kombination mit den körperlichen Einschränkungen
    qualifiziert sind. ca. 8 Stunden
  • Begleitung zu Therapien, inklusive Bereitschaft bei Therapieabbruch
    und Begleitung bei Freizeit-Aktivitäten, ca. 3 Stunden
  • Hausaufgaben-Hilfe ca. 2 Stunden
  • Begleitung und Motivation, Mittags und Abends etwas zu essen, ca. 1 Stunde
  • Hilfe und Begleitung beim Bett fertig machen , ca. 1 Stunde

Ich komme auf 19 Stunden Unterstützungsbedarf durch eine qualifizierte
Fachkraft.

Dieser Stundenumfang wird erforderlich, weil seine Mutter und ich
nicht permanent seine pädagogischen Fachkräfte sein wollen – sondern
vor allem seine Eltern. Ich möchte der Papa von meinem Sohn sein und
nicht seine behinderungsbedingte Assistenz. Mein Sohn soll durch diese
Unterstützung auch eine dringend erforderliche Unabhängigkeit von
seinen Eltern erfahren. Nur so kann eine altersgerechte kindliche
Entwicklung sichergestellt werden, die im Ergebnis zu einem
unabhängigen Menschen führt.

Außerdem sind wir aktuell bereits an unserer Belastungsgrenze und
können daher nicht alle empfohlenen Therapien für unseren Sohn
umsetzen. Die aktuellen und zukünftigen Therapie-Defizite können
ebenfalls zu einer Entwicklungsstörung führen, wenn nicht bald Abhilfe
geschaffen wird. Der Facharzt unseres Sohnes hat ihm 3 Physio-Therpien
pro Woche empfohlen. Aktuell schaffen wir nur eine Therapie-Stunde pro
Woche. Wir benötigen hier dringend Unterstützung – können einer
unqualifizierten Hilfskraft aber nicht unser Kind anvertrauen, weil
dies die Situation wie bereits beschrieben nur verschlimmern würde.

Weitere durch die Fachärzte empfohlene Therapien wie Ergotherapie,
Logopädie und eine psychotherapeutische Verhaltenstherapie können wir
aktuell gar nicht bewältigen.

Anbei erhalten Sie die fachärztlichen Einordnungen zu dem benötigten
Unterstützungsbedarf bzgl. Höhe und Qualifikationsanforderung. Ebenso
erhalten Sie eine entsprechende Einordnung durch die Physiotherapeutin
und eine examinierte Pflegefachkraft.

Mit Verweis auf die UN-Kinderrechtskonvention und auf die
UN-Behindertenrechtskonvention ersuche ich das Gericht, den
erforderlichen qualifizierten Unterstützungsbedarf anzuerkennen und
uns die benötigte Unterstützung zuzusprechen.

 Hochachtungsvoll

Arbeits-Behinderungsausgleich bei Autismus

Autismus & Vorstellungsgespräch

Für einen Autisten könnte folgender Behinderungsausgleich im Vorstellungsgespräch denkbar sein.

Autisten neigen dazu, eine Frage entweder nur in einem einzigen Punkt zu betrachten, oder aber viel zu viel in die Frage hinein zu interpretieren. Wenn du einen Autisten fragst, was man oft in einem Wald vorfindet, erwartet man die Antwort „Bäume“. Allerdings könnte es passieren, dass der Autist von einer besonderen Milbenart erzählt, die unter der Baum-Rinde lebt. Oder er erklärt die gesellschaftspolitische Problematik von Monokulturen in deutschen Wäldern. 

Diese komplexe Denkweise führt dazu, dass die Fragen oft nicht wie erwartet beantwortet werden können. 

Als Behinderungsausgleich wäre daher denkbar, dass eine PersonalerIn sich zusammen mit der SBV und dem Bewerber mit Autismus zusammensetzen und ihm vor dem Vorstellungsgespräch 15-30 Minuten lang die geplanten Fragen zur Verfügung stellen und erklären, worauf die Fragen abzielen. 

Dadurch kann sichergestellt werden, dass der Bewerber die Fragen in der Präzision beantwortet, die erwartet werden. 

Außerdem haben Autisten eine enorme Reizfilterschwäche. Dadurch ist der Bewerber einem großen Stress ausgesetzt, bevor das Vorstellungsgespräch überhaupt beginnt. 

Hier wäre es sinnvoll, wenn eine Anreise mit der Deutschen Bahn oder eine längere Fahrt über die Autobahn nötig ist, ein Hotel-Zimmer für die Übernachtung am Tag zuvor zu organisieren. Die Agentur für Arbeit / Jobcenter müsste hier der Kostenträger sein. Aber die brauchen manchmal einen Anstoß vom zukünftigen Arbeitgeber. Darum könnte sich die Personalabteilung oder SBV kümmern.

Außerdem sollte die Warte-Situation unmittelbar vor dem Bewerbungsgespräch so reizarm wie möglich gestaltet werden. Ideal wäre ein ruhiger Außenbereich, weil Büros oft ungewohnte Gerüche haben, die auch Stress erzeugen können. 

Autisten entwickeln auch häufiger weitere Zwänge wie einen Waschzwang oder einen Berührungsphobie. In einem solchen Fall wäre es sinnvoll, darauf zu achten, dass dem Bewerber mit Autismus proaktiv das WC gezeigt und auf eine Begrüßung per Handschlag verzichtet wird.

Arbeitsassistenz Autismus

Kern-Aufgaben einer Arbeitsassistenz bei Autismus:

Grundlegende Aufgaben einer Arbeitsassistenz im Bereich der Kommunikation/Interaktion: „ 

  • Vermittlung bei Missverständnissen und Krisen („Dolmetschertätigkeit”) 
  • Aufklärung und Beratung der Vorgesetzten und Kolleg:innen 
  • Schutz vor Mobbing
  • Anleitung im Kontakt mit Kund:innen 
  • Unterstützung bei der Generalisierung von – beispielsweise in der Therapie – neu erworbenen sozialen Kompetenzen im Umgang mit Kolleg:innen und Kund:innen
  • rechtzeitiges Aufdecken von Problemstellungen, die andernfalls zu eskalieren drohen etc.

Grundlegende Aufgaben der Arbeitsassistenz im Bereich der Reizverarbeitung: „ 

  • Gestaltung autismusgerechter Rahmenbedingungen
  • frühzeitiges Erkennen von Reizüberflutung
  • Rückmeldung an den/die Arbeitnehmer:in
  • Vermittlung im Umgang mit Kolleg:innen und Kund:innen „ Schaffung von Rückzugsräumen
  • Hinführung an den Einsatz reizreduzierender Hilfsmittel (z.B. Kopfhörer, Trennwände) etc.

Grundlegende Aufgaben der Arbeitsassistenz im Bereich der Handlungsplanung: „ 

  • Strukturierung des Arbeitstages 
  • Strukturierung und Priorisierung der Tätigkeiten 
  • Aufzeigen paralleler Arbeitsschritte 
  • Visualisierung der Arbeitsaufträge 
  • personelle und räumliche Orientierung
  • Unterstützung bei der Generalisierung des Gelernten
  • Pausengestaltung etc. 

Quelle: https://www.autismus.de/fileadmin/NEWS/Broschuere_Teilhabe_am_Arbeitsleben_Screenversion_StandJuli23.pdf

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