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1) Worum ging’s beim Thüringer LSG, 12.11.2025 – L 12 P 500/21?
Die Klägerin wollte von ihrer Pflegekasse die (anteilige) Erstattung von Kosten der Verhinderungspflege für 2019 und 2020 (konkret: ab 22.08.2019 bis 31.12.2020). Abgerechnet hatte ein ambulanter Pflegedienst regelmäßig an fünf Tagen pro Monat je 1 Stunde „Verhinderungspflege“, während zugleich volle Pflegesachleistungen (Pflegegrad 3, bis 1.298 €/Monat) liefen.
Quelle: https://www.sozialgerichtsbarkeit.de/entscheidungen/179174
1.1) Einordnung
Es kommt leider häufiger vor, dass Pflegedienste das Verhinderungspflege-Budget als Extra-Budget betrachten und einfach zusätzlich abrechnen.
Wenn wir einen Pflegedienst zur Abrechnung des Entlastungsbetrags beauftragt haben, stand in der Abtretungserklärung auch immer, dass die Verhinderungspflege abgetreten wird.
2) Urteil des Landessozialgerichts Thüringen
Das LSG hat die Berufung zurückgewiesen: Kein Anspruch auf Verhinderungspflege in der geltend gemachten Konstellation. Keine Kostenerstattung, keine Revision zugelassen.
Wie lautet das Verhinderungspflege-Gesetz?

Wer ist alles Pflegeperson?

3) Kerngründe und Fehler des Gerichts-Urteils
A) Verhinderungspflege ist laut Gericht eine „Überbrückungsleistung“ – keine Dauer-/Regelkomponente
Zitat:
„Verhinderungspflege i.S. des § 39 SGB XI kommt grundsätzlich nur bei vorübergehenden Verhinderungen in Betracht.“
„Bei den „anderen Gründen“ i.S.d. § 39 Abs. 1 S. 1 SGB XI handelt es sich regelmäßig entweder um eine ungeplante (plötzlich auftretende bzw. kurzfristige) Verhinderung der Pflegeperson (z.B. Erkrankung eines nahen Angehörigen der Pflegeperson oder eigener Trauerbewältigung) oder aber geplante, dann aber unausweichlichen bzw. medizinisch oder gesundheitlich indizierten Verhinderung der Pflegeperson (z.B. Kuraufenthalt, Urlaub oder Arzttermin während der Pflegezeit). Entscheidend ist jedenfalls, dass mit der Verhinderungspflege ein plötzlicher oder unaufschiebbarer Ausfall der Pflegeperson kompensiert wird.“
Im Fall der Klägerin war die „Verhinderung“ aber regelmäßig eingeplant (im Vortrag: quasi wöchentlich montags; sogar Antrag gleich fürs ganze Jahr 2020). Das wertet das LSG als Teil eines Pflegekonzepts bzw. „Aufstockung“, nicht als kompensationsbedürftigen Ausfall.
Das LSG Thüringen lässt hier diverse Aspekte außer acht.
Im Gesetz steht nicht, dass es sich um einen akuten oder kurzfristigen Grund handeln muss.
Das Gesetz besagt lediglich, dass „die Pflegeperson aus anderen Gründen an der Pflege gehindert“ sein muss.
- Wenn die Pflegeperson jeden Sonntag morgen in die Kirche geht, ist sie an der Pflege gehindert.
- Wenn die Pflegeperson wie Garfild Montage hasst und der Pflegebedürftige die schlecht gelaunte Pflegeperson Montag Morgen nicht um sich haben will, ist die Pflegeperson an der Pflege gehindert.
- Wenn die Pflegeperson jeden Mittwoch Abend einen Familien-Abend veranstaltet und darum nicht pflegen kann, ist sie an der Pflege gehindert.
In jedem dieser Fälle ist die Pflegeperson im Sinne des Verhinderungpflege-Gesetz verhindert sodass der Mensch mit Pflegegrad eine Verhinderungspflege beanspruchen darf.
B) Verhinderungspflege setzt laut dem Urteil voraus, dass tatsächlich Pflegegeld läuft
Zitat:
„Voraussetzung für die Gewährung von Verhinderungspflege ist die tatsächlich erfolgte Gewährung von Pflegegeld (§ 37 SGB XI; jedenfalls im Rahmen der Kombinationsleistung nach § 38 SGB X), die es durch den Verhinderungsfall zu kompensieren gilt.“
Hier wurden 100 % Sachleistungen ausgeschöpft → nach Logik der Kombinationsleistung bleibt 0 % Pflegegeld übrig.
Im Verhinderungspflege-Gesetz steht ausdrücklich, dass lediglich die Pflegeperson verhindert sein muss. Das Pflegegeld steht in keinem direkten Zusammenhang zur Pflegeperson.
Wann wird Pflegegeld gezahlt?

Neben dem Pflegegeld gibt es weitere finanzielle Vorteile für Pflegepersonen, z.B. die Renten-Punkte und einen Unfall-Versicherungs-Schutz.

Dass das LSG Thüringen hier den Pflegegeld-Bezug zur Voraussetzung für die Verhinderungspflege macht, dürfte daher absolut rechtswidrig sein und grenzt mutmaßlich an Rechtsbeugung.
C) Nebenkriegsschauplätze, die das Gericht offenlassen konnte
Das Gericht deutet an, dass schon unklar war, ob überhaupt eine private Pflegeperson in relevantem Umfang beteiligt war (widersprüchliche Angaben), und ob die behaupteten Tätigkeiten überhaupt „Pflege“ im Sinn der Ersatzpflege waren – aber darauf kam es am Ende nicht mehr an, weil es schon an Verhinderungsfall und Pflegegeld scheiterte.
Warum das Richtig ist:
Es ist falsch, dass Pflegedienste das Budget der Verhinderungspflege als Extra-Budget zweckentfremden und oft ohne Kenntnis der Pflegebedürftigen hinter deren Rücken abrechnen.
Dass die Abtretungserklärung von Pflegediensten standardmäßig vorsieht, das auch die Verhinderungspflege abgetreten wird, dürfte unzulässig sein.
Das dient einzig dem Zweck, Leistungen als Verhinderungspflege unabhängig von der Verhinderung der Pflegeperson zu erbringen und hinterm Rücken der Pflegebedürftigen abzurechnen.
Hier ist dringend mehr Transparenz gegenüber den Pflegebedürftigen nötig.

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