
Warum ist der Toilettengang am Arbeitsplatz ein Thema für das Inklusionsamt?
Inklusion bedeutet, dass Menschen mit Behinderung gleichberechtigt am Arbeitsleben teilnehmen können. Doch was passiert, wenn ein schwerbehinderter Arbeitnehmer auf Hilfe beim Toilettengang angewiesen ist? Darf eine Arbeitsassistenz in diesem Bereich unterstützen? Und ist das Inklusionsamt verpflichtet, diese Unterstützung zu finanzieren?
Die Rechtslage: Welche Pflichten hat das Inklusionsamt?
Das Inklusionsamt ist nach § 185 SGB IX dafür zuständig, schwerbehinderten Menschen die Teilhabe am Arbeitsleben zu ermöglichen. Das umfasst unter anderem die Finanzierung von Arbeitsassistenz, wenn sie notwendig ist, um eine berufliche Tätigkeit auszuüben.
Die Arbeitsassistenz kann viele Aufgaben umfassen, darunter:
- Hilfe beim Umsetzen in den Bürostuhl,
- Anreichen von Arbeitsmaterialien,
- Begleitung zu Besprechungen oder in die Kantine,
- Unterstützung beim Toilettengang.
Der Toilettengang ist eine essenzielle Körperfunktion, die es einem Arbeitnehmer ermöglicht, seinen Arbeitsalltag zu bewältigen. Wenn ein schwerbehinderter Arbeitnehmer ohne diese Hilfe nicht am Arbeitsplatz bleiben kann, müsste diese Maßnahme als notwendige Assistenz finanziert werden.
Finanzierung des Toilettenumbaus durch das Inklusionsamt: Ein Widerspruch?
Interessanterweise finanziert das Inklusionsamt den barrierefreien Umbau von Toiletten am Arbeitsplatz. Dazu gehören:
- Rollstuhlgerechte Toiletten,
- Haltegriffe und Stützen,
- Abgesenkte Waschbecken,
- Automatische Türöffner.
Doch wenn das Inklusionsamt die Notwendigkeit eines barrierefreien Badezimmers anerkennt, ergibt sich daraus die logische Konsequenz: Wenn eine bauliche Anpassung nicht ausreicht, um den Arbeitnehmer selbstständig zur Toilette zu lassen, dann muss eine Arbeitsassistenz diese Funktion übernehmen.
Unterschiedliche Rechtsprechung zur Arbeitszeit und Toilettennutzung
Es gibt unterschiedliche Urteile zur Frage, ob der Toilettengang zur Arbeitszeit gehört:
- Arbeitsgerichtliche Entscheidungen: In vielen Fällen wird argumentiert, dass der Toilettengang nicht direkt zur Arbeitszeit gehört, Arbeitnehmer jedoch für diese Zeit bezahlt freigestellt werden. Dies bedeutet, dass der Gang zur Toilette keine „Arbeitsleistung“ im klassischen Sinne darstellt, aber dennoch zur regulären Beschäftigung zählt.
- Urteil zur Beamtenrechtsprechung: Ein verbeamteter Richter urteilte jedoch, dass für Beamte der Toilettengang zur Arbeitszeit gehört. Diese Entscheidung könnte darauf hindeuten, dass es Unterschiede zwischen tariflich Beschäftigten und Beamten gibt, insbesondere in Bezug auf die Bewertung von biologischen Notwendigkeiten im Arbeitskontext.
Die Unterschiede in der Rechtsprechung zeigen, dass der Toilettengang sowohl als unverzichtbare biologische Funktion als auch als Teil der Arbeitsorganisation betrachtet wird. Dies könnte als weiteres Argument dafür dienen, dass eine Unterstützung in diesem Bereich nicht ausschließlich als „private Angelegenheit“ abgetan werden kann.
Gegenargumente des Inklusionsamts – und warum sie nicht greifen
1. „Der Toilettengang ist eine private Angelegenheit.“
➡ Widerlegung: Wenn das so wäre, dürfte das Inklusionsamt auch keine Umbauten an Toiletten finanzieren. Die Nutzung einer Toilette ist Teil des Arbeitsalltags und eine Voraussetzung für die berufliche Teilhabe.
2. „Die Pflegeversicherung oder Eingliederungshilfe ist dafür zuständig.“
➡ Widerlegung: Arbeitsassistenz ist keine Pflege, sondern eine Maßnahme zur beruflichen Teilhabe. Die Pflegeversicherung kommt nur für allgemeine Lebensbereiche auf, nicht für Arbeitsunterstützung.
3. „Es gibt eine klare Trennung zwischen Pflege und Arbeitsassistenz.“
➡ Widerlegung: Diese Trennung existiert nicht in den Gesetzen. Vielmehr gibt es bereits erfolgreiche Klagen von Betroffenen, bei denen das Inklusionsamt verpflichtet wurde, die Kosten für eine solche Assistenz zu übernehmen.
Praxisbeispiele: Wenn Arbeitsassistenz notwendig ist
- Beispiel 1: Ein Rollstuhlfahrer kann zwar selbstständig arbeiten, aber nicht eigenständig auf die Toilette wechseln. Ohne Assistenz oder müsste er den Arbeitsplatz verlassen – wenn nicht alle beruflich benötigten Toiletten Hilfsmittel (z.B. ein Deckenlift) verfügen. Die Assistenz ermöglicht ihm, seinen Job auszuüben.
- Beispiel 2: Eine Person mit Muskelerkrankung braucht Hilfe beim Öffnen der Hosenknöpfe oder beim Umsetzen auf die Toilette. Ohne diese Hilfe wäre eine volle Arbeitsleistung nicht möglich.
Wie können Betroffene ihre Rechte durchsetzen?
- Antrag beim Inklusionsamt stellen: Erwähne explizit, dass du die Assistenz für die berufliche Teilhabe benötigst.
- Verweis auf den Toilettenumbau: Argumentiere, dass das Inklusionsamt bereits anerkannt hat, dass Toiletten zur Arbeitsumgebung gehören.
- Widerspruch einlegen, falls der Antrag abgelehnt wird.
- Unterstützung durch die Schwerbehindertenvertretung (SBV) oder das Integrationsamt einholen.
- Klage beim Sozialgericht einreichen.
Praxistipp: Im Erst-Antrag keine Hilfe bei der Toilette nötig
Damit du schnell an die von euch benötigte Unterstützung kommt, erwähne deinen Unterstützungsbedarf beim ersten Antrag am besten nicht. Die Unterstützung beim Toiletten-Gang darf auch durch Kollegen (Kollegen-Hilfe) oder Freunde statt finden.
In dem Moment wird dein Kollege oder dein Freund zu deiner privaten Pflegeperson. Das ist legitim und absolut zulässig. Da für den Toilettengang ein großes Vertrauen erforderlich ist, ist diese Begründung sogar ausgesprochen plausibel.
So stellst du sicher, dass du deine dringend benötigte Arbeitsassistenz schnellst möglich erhältst und musst dich beim ersten Antrag nicht mit dem Inklusionsamt streiten.
Wenn du deine Arbeitsassistenz dann bekommen hast, kannst du einen Änderungs-Antrag stellen und beantragen, dass die Arbeitsassistenz dich auch auf der Toilette unterstützen darf. Der alte Bescheid mit der bewilligten Arbeitsassistenz bleibt so lange bestehen, bis dein neuer Antrag rechtskräftig beschieden wurde.
Wenn du außerhalb der Toilette aber eh so viel Unterstützung brauchst, dass deine Arbeitsassistenz während deiner Arbeit bei allen Toilettengängen präsent ist, ist es nicht erforderlich, diese Klarstellung durch den Änderungs-Antrag zu erzwingen.
Deine Arbeitsassistenz darf nämlich auch deine private Pflegeperson sein. Wenn ihr die Toilette betretet, wird sie einfach zu deiner privaten Pflegeperson und von dir für diesen Zeitraum bezahlt freigestellt. Als Pflegeperson ist sie ebenfalls Unfallversichert und kann dich somit weiterhin ideal unterstützen.
Fazit: Arbeitsassistenz muss auch Toilettengänge umfassen
Das Inklusionsamt ist verpflichtet, eine barrierefreie Arbeitsumgebung zu ermöglichen. Dazu gehört nicht nur der bauliche Umbau von Toiletten, sondern auch die Bereitstellung einer Arbeitsassistenz für den Toilettengang, wenn dies erforderlich ist, um die berufliche Teilhabe zu sichern. Die uneinheitliche Rechtsprechung zur Frage, ob Toilettengänge zur Arbeitszeit gehören, zeigt, dass dieser Bereich noch weiter diskutiert werden muss. Betroffene sollten sich nicht von Ablehnungen abschrecken lassen – oft hilft ein Widerspruch oder notfalls eine Klage, um das Recht auf Inklusion durchzusetzen.
Hast du Erfahrungen mit der Arbeitsassistenz und der Finanzierung durch das Inklusionsamt? Teile deine Meinung in den Kommentaren!
Schreibe einen Kommentar